Als wir Kinder waren, entschieden wir gar nicht selbst über unsere Begegnungen. Unsere Eltern sagten uns beispielsweise, wen wir zu grüßen hätten und wie. Wenn wir Glück hatten, dann hatten wir ein eigenes Zimmer und somit zumindest einen kleinen Kontrollanspruch. Dennoch wurde vielleicht die Großtante in unser Bett gelegt oder die Mutter kontrollierte unsere Hausaufgaben, ob wir wollten oder nicht. Eigene Begegnungen mit anderen Menschen hatten die meisten von uns erst im Kindergarten und in der Schule. „Eigene“ im Sinne von: nicht von den Eltern moderiert. Natürlich liefen diese Begegnungen dann beeinflusst von dem ab, was unsere Eltern uns bis dahin vermittelt hatten. Viele hochbegabte und hochsensible Kinder aus einem sehr geschützten Umfeld fallen dann in der Schule durch eine gewisse Naivität auf. Das Unverständnis der anderen Kinder kann sich dann schlimmstenfalls bis zum Mobbing hochschaukeln.
Begegnungen mit unserer Familie
Die Begegnungen innerhalb unserer Familie sind geprägt von dem, was unsere Eltern und Großeltern selbst gelernt haben, sowohl in ihrer Kindheit, als auch im Laufe ihres Lebens. Ob man sich in unserem Haus eher die Hand gibt, sich umarmt, auf den Mund küsst oder freundschaftlich in die Schulter boxt, prägt uns alle. Ob man einander vertraut, offen miteinander spricht oder aus vielem ein Geheimnis macht, ob man sich unterstützt, auch finanziell, ob den älteren ein besonderer Respekt entgegengebracht wird oder nicht, wie man mit Gästen umgeht – alle diese Aspekte lernen wir zu Hause. Je älter wir werden, und je mehr eigene Gewohnheiten wir entwickeln, umso mehr sehen wir diese Gewohnheiten zu Hause als das individuelle Mikroklima, das sie sind.
Begegnungen im Zusammenhang mit unserer Arbeit
In der Schule und in der Arbeit sind wir nicht nur anderen individuell geprägten Menschen begegnet, sondern befinden uns auch in einem System mit eigenen Regeln. Ob man sich jeden Morgen mit Handschlag begrüßt oder nur ein lautes „Hallo!“ durch den Flur ruft, das entscheiden nicht wir allein. Viel Reibung entsteht dadurch für Hochbegabte, dass sie diese ungeschriebenen Regeln entweder nicht erkennen, oder aber einfach infrage stellen, je nach individueller Persönlichkeit. Wir sind nun mal eher dazu bereit, neu gewonnene Informationen zu analysieren, mit bekanntem zu verknüpfen und auf unsere eigenen Schlüsse zu kommen, als einfach zu tun was man uns sagt (oder gar, was nur angedeutet wird!). Für viele Hochbegabte ist (u.a. aufgrund ihrer starken Tendenz zur Differenzierung und ihrer Abneigung gegen jedes „Schema F“) jede Begegnung neu und unwägbar. Manche jubeln innerlich bei jedem neuen Menschen, den sie entdecken dürfen. Anderen flößt jede Begegnung paralysierende Angst ein.
Begegnungen mit Fremden
Begegnen wir einem neuen Menschen, so entscheidet nicht zuletzt das Umfeld, in dem wir uns begegnen, darüber, wie wir miteinander umgehen. Bedient uns eine uns unbekannte Person in einem Geschäft, so wird uns das deutlich weniger in Stress versetzen, als zu einem neuen Arzt zu gehen. Ist die Situation für uns schon anstrengend, überträgt sich das unweigerlich auf unseren Umgang mit der Person. Das bedeutet auch, dass ein Sockenkauf für uns einfacher ist als ein Besuch beim Arbeitsamt, ob wir unser Gegenüber bereits kennen oder nicht. Ebenso bedeutet es, in der Umkehrung, dass eine Routinekontrolle beim Arzt anstrengender wird, je fremder der Arzt uns ist. Meiner Meinung nach ist eine der Ursachen für Fremdenfeindlichkeit die Unsicherheit, mit der die Begegnung mit einem in einer anderen Kultur sozialisierten Menschen schon eine ganz alltägliche Begegnung erfüllen kann. Sprich: wenn die Kommunikation beim Bäcker, mit dem Paket Boten, mit der Kosmetikerin, mit dem Friseur, mit dem Lehrer, mit dem Kollegen, mit dem Chef oder mit dem Arzt schwieriger und irritierender wird, als es der betreffende Mensch gewohnt ist. (Interessanterweise sind die wenigsten Menschen sofort damit einverstanden zu akzeptieren, dass sie selbst, wenn sie als Touristen eine komplett andere Kultur entdecken, als genauso fremd, genauso seltsam und genauso anstrengend erlebt werden. Schließlich sind wir alle fast überall Fremde.)
Begegnungen mit Freunden
Unsere Begegnungen mit Freunden dürften die entspanntesten sein: sowohl weil wir Freunden grundsätzlich offen und positiv entgegentreten, als auch weil Freundschaften in der Regel auf gemeinsamen Grundwerten basieren. D. h. nicht, dass wir nur mit uns sehr ähnlichen Menschen befreundet sein könnten, sondern dass wir alle Unterschiede mithilfe gewisser geteilter Grundannahmen überbrücken können. Selbst wenn wir bei unserer ersten Begegnung noch nicht wussten, ob wir einander die Hand geben oder uns umarmen würden, gehört es zum Entstehen einer Freundschaft dazu, dass wir lernen wie wir am besten miteinander und mit unseren Eigenheiten umgehen, und was wir einander zu geben bereit und in der Lage sind. Freundschaften entstehen in der Regel im Verlauf einer gewissen Zeit: man lernt sich kennen, einschätzen und schätzen, und schliesslich auch, einander zu vertrauen. Rare Ausnahmen bilden jene Menschen, die uns in so vielem so ähnlich sind, dass von Anfang an eine große Vertrautheit da ist.
Wie würden wir einander wohl begegnen, Du und ich?
Herzlichst, wo immer du gerade bist,
P.S.: Wie erlebst Du Begegnungen? Wie unterscheiden sich die Bereiche bei Dir?
P.P.S.: Demnächst komme ich nochmal auf die Frage zurück, wie das „Wo“ unsere Begegnungen beeinflusst…
*jaja, ich weiß, das auf dem Photo ist kein Mensch. Aber doch anscheinend sehr offen für Begegnungen, oder? ;-)
Als wir Kinder waren, entschieden wir gar nicht selbst über unsere Begegnungen. Unsere Eltern sagten uns beispielsweise, wen wir zu grüßen hätten und wie. Wenn wir Glück hatten, dann hatten wir ein eigenes Zimmer und somit zumindest einen kleinen Kontrollanspruch. Dennoch wurde vielleicht die Großtante in unser Bett gelegt oder die Mutter kontrollierte unsere Hausaufgaben, ob wir wollten oder nicht. Eigene Begegnungen mit anderen Menschen hatten die meisten von uns erst im Kindergarten und in der Schule. „Eigene“ im Sinne von: nicht von den Eltern moderiert. Natürlich liefen diese Begegnungen dann beeinflusst von dem ab, was unsere Eltern uns bis dahin vermittelt hatten. Viele hochbegabte und hochsensible Kinder aus einem sehr geschützten Umfeld fallen dann in der Schule durch eine gewisse Naivität auf. Das Unverständnis der anderen Kinder kann sich dann schlimmstenfalls bis zum Mobbing hochschaukeln.
Begegnungen mit unserer Familie
Die Begegnungen innerhalb unserer Familie sind geprägt von dem, was unsere Eltern und Großeltern selbst gelernt haben, sowohl in ihrer Kindheit, als auch im Laufe ihres Lebens. Ob man sich in unserem Haus eher die Hand gibt, sich umarmt, auf den Mund küsst oder freundschaftlich in die Schulter boxt, prägt uns alle. Ob man einander vertraut, offen miteinander spricht oder aus vielem ein Geheimnis macht, ob man sich unterstützt, auch finanziell, ob den älteren ein besonderer Respekt entgegengebracht wird oder nicht, wie man mit Gästen umgeht – alle diese Aspekte lernen wir zu Hause. Je älter wir werden, und je mehr eigene Gewohnheiten wir entwickeln, umso mehr sehen wir diese Gewohnheiten zu Hause als das individuelle Mikroklima, das sie sind.
Begegnungen im Zusammenhang mit unserer Arbeit
In der Schule und in der Arbeit sind wir nicht nur anderen individuell geprägten Menschen begegnet, sondern befinden uns auch in einem System mit eigenen Regeln. Ob man sich jeden Morgen mit Handschlag begrüßt oder nur ein lautes „Hallo!“ durch den Flur ruft, das entscheiden nicht wir allein. Viel Reibung entsteht dadurch für Hochbegabte, dass sie diese ungeschriebenen Regeln entweder nicht erkennen, oder aber einfach infrage stellen, je nach individueller Persönlichkeit. Wir sind nun mal eher dazu bereit, neu gewonnene Informationen zu analysieren, mit bekanntem zu verknüpfen und auf unsere eigenen Schlüsse zu kommen, als einfach zu tun was man uns sagt (oder gar, was nur angedeutet wird!). Für viele Hochbegabte ist (u.a. aufgrund ihrer starken Tendenz zur Differenzierung und ihrer Abneigung gegen jedes „Schema F“) jede Begegnung neu und unwägbar. Manche jubeln innerlich bei jedem neuen Menschen, den sie entdecken dürfen. Anderen flößt jede Begegnung paralysierende Angst ein.
Begegnungen mit Fremden
Begegnen wir einem neuen Menschen, so entscheidet nicht zuletzt das Umfeld, in dem wir uns begegnen, darüber, wie wir miteinander umgehen. Bedient uns eine uns unbekannte Person in einem Geschäft, so wird uns das deutlich weniger in Stress versetzen, als zu einem neuen Arzt zu gehen. Ist die Situation für uns schon anstrengend, überträgt sich das unweigerlich auf unseren Umgang mit der Person. Das bedeutet auch, dass ein Sockenkauf für uns einfacher ist als ein Besuch beim Arbeitsamt, ob wir unser Gegenüber bereits kennen oder nicht. Ebenso bedeutet es, in der Umkehrung, dass eine Routinekontrolle beim Arzt anstrengender wird, je fremder der Arzt uns ist. Meiner Meinung nach ist eine der Ursachen für Fremdenfeindlichkeit die Unsicherheit, mit der die Begegnung mit einem in einer anderen Kultur sozialisierten Menschen schon eine ganz alltägliche Begegnung erfüllen kann. Sprich: wenn die Kommunikation beim Bäcker, mit dem Paket Boten, mit der Kosmetikerin, mit dem Friseur, mit dem Lehrer, mit dem Kollegen, mit dem Chef oder mit dem Arzt schwieriger und irritierender wird, als es der betreffende Mensch gewohnt ist. (Interessanterweise sind die wenigsten Menschen sofort damit einverstanden zu akzeptieren, dass sie selbst, wenn sie als Touristen eine komplett andere Kultur entdecken, als genauso fremd, genauso seltsam und genauso anstrengend erlebt werden. Schließlich sind wir alle fast überall Fremde.)
Begegnungen mit Freunden
Unsere Begegnungen mit Freunden dürften die entspanntesten sein: sowohl weil wir Freunden grundsätzlich offen und positiv entgegentreten, als auch weil Freundschaften in der Regel auf gemeinsamen Grundwerten basieren. D. h. nicht, dass wir nur mit uns sehr ähnlichen Menschen befreundet sein könnten, sondern dass wir alle Unterschiede mithilfe gewisser geteilter Grundannahmen überbrücken können. Selbst wenn wir bei unserer ersten Begegnung noch nicht wussten, ob wir einander die Hand geben oder uns umarmen würden, gehört es zum Entstehen einer Freundschaft dazu, dass wir lernen wie wir am besten miteinander und mit unseren Eigenheiten umgehen, und was wir einander zu geben bereit und in der Lage sind. Freundschaften entstehen in der Regel im Verlauf einer gewissen Zeit: man lernt sich kennen, einschätzen und schätzen, und schliesslich auch, einander zu vertrauen. Rare Ausnahmen bilden jene Menschen, die uns in so vielem so ähnlich sind, dass von Anfang an eine große Vertrautheit da ist.
Wie würden wir einander wohl begegnen, Du und ich?
Herzlichst, wo immer du gerade bist,
P.S.: Wie erlebst Du Begegnungen? Wie unterscheiden sich die Bereiche bei Dir?
P.P.S.: Demnächst komme ich nochmal auf die Frage zurück, wie das „Wo“ unsere Begegnungen beeinflusst…
*jaja, ich weiß, das auf dem Photo ist kein Mensch. Aber doch anscheinend sehr offen für Begegnungen, oder? ;-)