Hochbegabung

Trügerisches Bauchgefühl & Missverständnisse

Schwere Kommunikation (c)Johanna Ringe 2015 www.dein-buntes-leben.de

Kommunikation ist wichtig. Da sind wir uns einig, nicht nur zur Klärung von Fakten (Wer bringt den Müll raus?) und Gefühlen (Liebst Du mich noch?) sondern auch, um sich seiner selbst zu versichern (Hörst Du mir überhaupt zu?). Aber manchmal ist Kommunikation auch sehr sehr schwer.

Folgende Situation: eine hochbegabte Person bewirbt sich auf eine Arbeitsstelle, wird zum Gespräch eingeladen.

Das Gespräch läuft gut. Es gibt eine einzige Situation, in der es etwas hakt, weil der Hochbegabte in der schriftlichen Bewerbung etwas tiefgestapelt hat. Eine unwichtige Nebensächlichkeit, irrelevant für den Job. In zwei Sätzen geklärt, sofort vergessen. Alle anderen Themen sind wunderbar: die Hochbegabung ist willkommen für die Stelle, alle Erfahrungen zählen als Pluspunkte. Der Hochbegabte geht mit einem guten Gefühl aus dem Bewerbungsgespräch heraus, und bekommt auch positive Andeutungen mit auf den Weg. Sagen wir, das Gespräch fand freitags statt,

am folgenden Montag meldet sich der potentielle Arbeitgeber bzw. der Interviewpartner mit einer Absage.

Die Begründung: er habe das ganze Wochenende an das Gespräch denken müssen, und an dieses kleine Missverständnis, welches doch sehr negativ aufgefallen sei, und dem eigenen Bauchgefühl folgend müsse er leider negativ entscheiden. Der Bewerber fällt aus allen Wolken. Er stellt sich in Frage, geht das Gespräch im Kopf Wort für Wort noch einmal durch: „War ich zu forsch? Hab ich zu viel heruntergespielt? Bin ich über-/unterqualifiziert? Hätte ich das aufgrund meiner extremen Vorsicht entstandene Missverständnis ignorieren sollen? War ich zu wahrhaftig? War ich zu verkrampft?“

Der Bewerber sucht den Fehler bei sich selbst, wie immer in solchen Situationen,

denn er ist ein vielbegabter empathischer Mensch, seine Hochbegabung beschränkt sich nicht auf einen einzigen Bereich, wie beispielsweise die mathematisch-logische oder die sprachlich-linguistische Intelligenz, sondern auch seine interpersonelle/soziale und intrapersonelle Intelligenz ist überdurchschnittlich ausgeprägt. Er neigt aufgrund der permanenten Selbstreflexion zu Selbstzweifeln. Nach einiger Zeit, und im Gespräch mit ihm wohlgesonnenen unbeteiligten Personen, kann er die Situation etwas distanzierter betrachten.

Dabei stellt sich heraus, daß alle anderen (ebenfalls hochbegabten) Gesprächspartner, sehr ähnliche Situationen schon erlebt haben.

Die einzige Erklärung, die man hatte finden können: der Interviewpartner hat sich, vermutlich vollkommen unbewusst, von der Hochbegabung eingeschüchtert gefühlt. Daher hat sein Bauchgefühl ihm zu einer Ablehnung geraten. Es wird immer das Bauchgefühl als Argument angegeben, es wird betont, daß die objektiven Kriterien für einen positiven Bescheid sprechen, und in manchen Fällen (aber bei weitem nicht in allen!) wird eine Lappalie, ein Formfehler oder ähnliches, vorgeschoben. Sozusagen als einziger Strohhalm, an dem das Bauchgefühl festzumachen wäre.

Wieviele potentiell für eine Firma gewinnbringende Arbeitsverhältnisse kommen wohl aufgrund solch unbewusster Muster, aufgrund solcher Missverständnisse, nicht zustande?

Keinem der Beteiligten ist in irgendeiner Form ein Vorwurf zu machen. Beide haben sich nach Kräften bemüht, ein gutes Gespräch zu führen. Sich verständlich zu machen und zu verstehen. Aber die unbewusste Furcht vor dem „Fremden“ oder „Andersartigen“ gepaart mit tief verinnerlichtem Konkurrenzverhalten auf der einen Seite, sowie die extreme Selbstreflektiertheit auf der anderen Seite durchziehen die gesamte Kommunikation.

Wer sich unterlegen fühlt, handelt oft aus diesem Gefühl heraus – vollkommen unabhängig vom tatsächlichen Begabungsstand auf beiden Seiten!

Daher ist für viele hochbegabte Menschen eine der größten Hürden in jeder zwischenmenschlichen Beziehung die Thematisierung der Hochbegabung: zu viele potentielle Missverständnisse. Vor allem Menschen die selbst hochbegabt sind, aber diesen Begriff (aus welchen guten und nachvollziehbaren Gründen auch immer) nicht mögen, und sich noch viel weniger damit identifizieren können, reagieren oft mit extremer Abwehr, wenn jemand vor ihnen sich als hochbegabt offenbart. Die klitzekleine Stimme im Hinterkopf, die sagt: „Vielleicht ist an dieser Hochbegabung ja was dran, vielleicht bin ich ja auch hochbegabt…? Was würde das für mein Leben bedeuten?“ wird übertönt vom lauten, verletzten und verletzenden: „Nein, Du bist nicht klüger/talentierter/begabter als ich! Was bildest Du Dir eigentlich ein?„.

Stattdessen die leisen Zweifel laut werden zu lassen würde in eine Persönlichkeitskrise führen.

Das würde Schmerzen, Trauer und letzen Endes tiefgreifende Veränderung bringen, und es gibt wenige Dinge vor denen wir Menschen uns so fürchten, wie vor Veränderung. Vor allen Dingen Veränderungen in unserem eigenen Kopf. Leicht ist es nicht, schmerzfrei in der Regel auch nicht. Aber gerade die Veränderung in Dir selbst ist am unausweichlichsten und am gewinnbringendsten, für Dich selbst und für Deine Umgebung. Also: nur Mut!

Herzlichst, wo und wie immer Du gerade bist,

Johanna Ringe dein-buntes-leben.de