Heute beschäftigt mich ein sehr schmerzhaftes Thema, das uns alle angeht, uns alle betrifft, und das wir dennoch alle oft verdrängen: Kritik und unsere persönliche Kritikfähigkeit bzw. Kritikkompetenz.
Denk mal kurz darüber nach, wie viele Menschen Du kennst, die wirklich kritikfähig sind. Menschen, die sachbezogen Manöverkritik machen können, die Kritik an Handlungen klar, wertschätzend und konstruktiv formulieren, sich Kritik ruhig anhören, nicht persönlich nehmen, und sachlich beantworten, sind höchst selten. Solltest Du dazugehören, melde Dich bitte bei mir, ich möchte Dich kennenlernen und von Dir lernen.
Kritikkompetenz ist ein essenzieller Bestandteil der Kommunikationskompetenz.
Nebenbei bemerkt: Kritiklosigkeit, also kritiklos und unkritisch zu sein ist auch keine gute Idee. Selbst zu denken und Dinge zu hinterfragen ist mindestens genauso wichtig, wie die Fähigkeit mit Kritik angemessen umzugehen. Das muss ich hochbegabten Menschen selten erzählen. Aber der Umgang mit Kritik ist für die Hochbegabten oft besonders schwer. Warum ist das so? Wir selbst kritisieren uns, sobald wir unsere Fehler erkennen. Das passiert oft unbewusst und so nebenbei, aber dadurch wirkt Kritik durch andere wie eine Wiederholung und Verstärkung.
Dazu kommt noch, dass die Sachebene und die Gefühlsebene vermischt werden. Wir haben fast alle gelernt, dass Lob ein Ausdruck von Anerkennung unserer Person ist, und so ist Kritik automatisch mit Ablehnung unserer Person assoziiert. Selbst wenn es in den meisten Fällen nur eine Kritik unseres Verhaltens ist, gefühlt ist es Kritik an uns.
Wenn Du Dich mit etwas identifiziert, dann empfindest Du Kritik daran als persönlichen Angriff.
Wenn Du Dich beispielsweise mit Deinem Aussehen identifizierst empfindest Du Kritik an Deiner Frisur als Angriff. Sonst denkst Du einfach, das ist Geschmackssache. Wenn Du Dich mit Deinem Job identifizierst, gilt dasselbe: es gibt immer verschiedene Arten, eine Arbeit auszuführen, zu schreiben, zu coachen, zu managen, Kinder zu erziehen … Nur wenn Du Dich damit zu sehr identifizierst, zu viel Selbstwert aus dieser Tätigkeit ziehst, wirst Du Dich angegriffen fühlen durch Kritik daran.
Je besser unser Selbstwertgefühl ist, desto entspannter können wir mit Kritik umgehen.
Je schlechter unser Selbstwertgefühl ist, desto mehr schmerzt Kritik. Wenn Du an Deiner Kritikfähigkeit also arbeiten möchtest, ist es sinnvoll Dein Selbstwertgefühl und Deine Selbstliebe zu stärken. (Dazu hier mehr im Blog.)
Was uns schmerzt, das wollen wir vermeiden: wenn wir Kritik vermeiden wollen, dann versuchen wir es allen recht zu machen, halten uns rigide an alle Regeln, machen uns so unsichtbar wie möglich bis zur Erstarrung. Gelingt uns das Vermeiden von Kritik nicht, versuchen wir den Spieß umzudrehen, den Kritiker anzugreifen oder zu verunglimpfen – ohne auf die Kritik einzugehen und vollkommen ohne sie anzunehmen.
Zum Glück kann man Kritikfähigkeit trainieren!
Als erstes betrachte die Kritik differenziert: ist es wirklich angemessene Kritik, oder hat es mehr mit den Gefühlen des Kritikers zu tun? Wenn der Ton unsachlich und verletzend ist, dann ist das unangemessen und sollte zur Sprache gebracht werden.
Im Idealfall kommt Kritik nur auf Anfrage, dann kann man auch angemessen damit umgehen. Zumindest ein freundliches „Darf ich dazu etwas anmerken?“ sollte ungebetener Kritik vorweggeschickt werden, damit man gleich auf der Meta-Ebene ist. Und bei Verneinung sollte das Thema auf ein andermal verschoben werden.
Die Situation spielt eine Rolle: wer und warum kritisiert wen? Ist diese Kritik eine unterstützende, konstruktiv, ist es ein etwas ungeschickter „Verbesserungsversuch“? Ist sie ungebeten oder gar ein Angriff? Nicht immer, wenn Du ein Problem mit Kritik hast, liegt das wirklich an Dir.
Am besten ist es, Kritik erst einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Zuhören, und dem Kritiker signalisieren, dass Du darüber nachdenken wirst. Oft ist es auch hilfreich, genauer nachzufragen: auf was zielt die Kritik genau ab?
Mach Dir bewusst, dass die Kritik immer aus der Perspektive des Kritikers kommt. Kritik ist nicht objektiv, nicht neutral, sondern wird von einem anderen Menschen ausgesprochen. Und wir Menschen dürfen unterschiedliche Meinungen haben. Wenn Du das so sehen kannst, dann kannst Du Dich sogar beim Kritiker für den gedanklichen Anstoß bedanken. An sich ist Kritik erst einmal nur ein Feedback, welches Dir helfen kann zu wachsen, zu lernen, und gewisse Fehler nicht immer wieder zu machen.
Kritik ist hilfreich!
Schwierig wird es in der Regel erst, wenn die Kritik Gefühle in Dir auslöst bzw. antriggert. Tut sie das nicht, weil Du von Deinem Verhalten überzeugt bist, und die Kritik nicht gerechtfertigt findest, dann äußere genau das ruhig und klar. Es ist nicht notwendig das auszubreiten, Dich zu erklären oder zu rechtfertigen.
Ist die Kritik ein Hinweis auf einen Fehler, den Du oft machst und kennst, kann das zwei verschiedene Konsequenzen haben.
Entweder Du hast ein gutes Selbstwertgefühl, kennst Deine Fehler und Schwierigkeiten, und kannst die entsprechende Kritik als Hinweis darauf sehen und annehmen: „Oh, das ist ärgerlich – danke das Du mich darauf aufmerksam machst. Ich kenne das von mir und möchte es gerne ändern/das ist meine Achilles-Ferse/damit hatte ich schon immer Schwierigkeiten/…“
Oder aber Du bist verletzt, hast Schuldgefühle, fühlst Dich abgelehnt, spürst Wut, Angst oder Trauer.
Alle diese Gefühle können von Kritik angetriggert werden und wollen dann genauer betrachtet werden.
Tu das bitte so ehrlich wie möglich und in einer stillen Stunde, sei Dir dabei selbst eine gute Freundin. Nicht hilfreich wäre es, aus der Verletzung heraus sofort zum Gegenangriff überzugehen.
Die beste Lösung hier ist, durchatmen, die Kritik zur Kenntnis nehmen und sagen, dass Du darüber nachdenken wirst.
Schuldgefühle zeigen Dir, dass die Kritik von außen mit Deiner inneren Kritik zusammenfällt. Also frage Dich ehrlich, ob sie gerechtfertigt ist, und dann ändere Dein Verhalten dahingehend, dass Du mit Dir selbst einverstanden bist. (Das ist sehr viel leichter geschrieben als getan, das ist mir bewusst.) Wenn sie nicht gerechtfertigt ist, dann arbeite an Deinen alten Glaubenssätzen und verabschiede Dich von alten Gewohnheiten, die Dir heute nicht mehr entsprechen. (Dazu findest Du hier mehr im Blog.)
Löst die Kritik in Dir das Gefühl aus, abgelehnt zu werden, ungeliebt zu sein, sollte Dich das dazu bringen Deine Beziehung zum Kritiker aufzuräumen. Gibt es alte Sachen zwischen Euch, die zur Sprache gebracht werden wollen? Oder die Du endlich loslassen solltest? Oder ist es mehr das kritisierte Thema? Dann identifizierst Du Dich vielleicht zu sehr damit. Geh Deinen Gefühlen nach.
Unsere Beziehungen zu anderen Menschen haben alle eine Geschichte und alle unsere Geschichten haben mit unseren Gefühlen zu tun.
Für all diese Überlegungen ist es vollkommen irrelevant, ob die Kritiksituation im beruflichen oder privaten Umfeld stattfand. Unsere Kritikkompetenz zu trainieren umfasst also sehr viel mehr als nur unsere Kommunikationsfähigkeiten. Es ist immer mal wieder eine gute Idee, uns mit unseren Gefühlen und unseren Glaubenssätzen zu befassen. Denn wir entwickeln uns weiter, alle, jeden Tag. Du bist heute eine andere als gestern, als letzte Woche, als vor einem Jahr – warum also solltest Du genau dieselben Fehler machen oder dieselben Reaktionen haben?
Herzlichst, wo immer Du gerade bist,
P.S.: Hinterlass mir gerne einen Kommentar zu diesem Thema – ich bin gespannt!!
Hallo, das sind sehr hilfreiche und anregende Gedanken zum Thema Kritikfähigkeit. Ich arbeite ehrenamtlich in verantwortlicher Position in einer Kirchengemeinde und habe miterleben müssen, dass mangelnde Kritikfähigkeit sehr schwere Konflikte auslösen können. Für die Gemeinde ist das nach wie vor eine Baustelle.
Hallo Wolfgang,
oh ja, diese Gefahr besteht leider überall, wo Menschen miteinander kommunizieren.
Umso wichtiger, daran zu arbeiten.
Ich wünschte, das würden Kinder ernsthaft in der Schule beigebracht bekommen, wobei es da gute Ansätze gibt wie zB Streitschlichterausbildung in der Grundschule etc.
Ich wünsche Dir/Euch viel Geduld und Freundlichkeit!
Herzlichst,
Johanna