Auch wenn Du immer stark wirkst, immer alles im Griff hast und wirklich jeder Situation gewachsen zu sein scheinst… auch Du darfst Schwäche fühlen. Um Hilfe bitten. Zusammenbrechen.
„Du schaffst das schon! Du bist doch stark.“
Es gibt Situationen, in denen ich Menschen ohrfeigen möchte für die Unachtsamkeit dieser Worte. Wenn man seine Partnerin verloren hat, oder sein Kind, wenn die persönliche Welt zusammengebrochen ist, dann ist das eine Katastrophe. Selbst wenn man stark ist, und wirklich resilient und jede Situation in den Griff bekommt, auch diese. Das Nebeneinander von Kompetenz und dem Gefühl der Hilf- oder Haltlosigkeit, der Trauer und der Zerrissenheit, ist offenbar für manche Menschen schwer vorstellbar.
Sie möchten nicht mit der verletzlichen Seite einer Person konfrontiert werden, die sie immer als stark wahrnehmen.
Denn das würde die Welt dieser Menschen zu einem weniger stabilen und verlässlichen Ort machen. Das ist einfach zu erklären. Aber trotzdem unfair der Person gegenüber, die gerade einen verletzlichen Moment persönlicher Bedürftigkeit durchlebt.
Auch kompetente Menschen fühlen Schwäche und Hilflosigkeit. Sie zeigen sie nur nicht, oder anders als Menschen, die sich als „Opfer“ durch die Welt bewegen.
Eigentlich ergänzen wir uns gut, die „Starken“ und die „Schwachen“.
Aber das funktioniert nur, wenn man auch dem „Opfer“ seine Stärke und auch dem Starken seine Schwäche zugesteht. Einander an der Hand zu nehmen, wenn nötig, und sich gegenseitig zu inspirieren und in der Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen kann für alle Beteiligten lohnend sein. Wenn auch diejenigen, die sich gewohnheitsmäßig auf andere verlassen, feststellen dürfen, dass sie Kompetenz und Handlungsspielraum haben. Oder wenn die Starken sich vollkommen selbstverständlich auch mal fallenlassen dürfen in dem sicheren Wissen, aufgefangen zu werden von jemandem, der weiß, was ihnen nun gerade guttut.
Wir sind keine einsamen INSELN, wir sind Teile einer gemeinsamen Landschaft.
Wenn ich der Fluss bin, der ab und zu über Deine Ufer tritt, verzeih mir das, bitte. Und genauso werde ich Dir den einen oder anderen Uferabbruch nicht übelnehmen. Denn wir bedingen uns gegenseitig und formen einander… und was wäre eine gute Beziehung ohne überraschende Überschwemmungen oder Felsstürze? (wenn Dir das Bild zu schräg ist, gut, dann such Dir ein passenderes… mir hat es gefallen!)
Sie kann Deine Stärke aushalten, und Du seine Schwäche ertragen, mit Übung.
Denn nur weil es ungewohnt ist, dass die kompetenteste Person im Raum hilflos die Schultern zuckt und fragende Blicke in die Runde wirft, ist es noch kein Weltuntergang. Es ist, im Gegenteil, eine Chance für alle Beteiligten. Offenheit und Bereitschaft für Veränderung ist eine gesunde Grundeinstellung, die auch hier angezeigt ist.
(Wenn die Person glaubt, sich keinen Zweifel anmerken lassen zu dürfen, ist die Katastrophe dagegen schon vorprogrammiert…)
Also bitte, lasst sie Schwäche zeigen. Und seid stark an ihrer Seite.
Herzlichst, wo immer Du gerade bist,
P.S.: Nicht vergessen, es ist und bleibt ein Wellenmodell…… gerade im Moment schlagen bei vielen die Wellen hoch, die Wellentäler sind entsprechend tief…. Bleib gesund!
Nicht zu vergessen, liebe Johanna, dass es unglaublich viel Energie kostet, auch in schwachen Momenten die starke Fassade aufrechtzuerhalten! Energie, die anderweitig viel besser nutzbar wäre. Und wenn dann auch noch das schlechte Gewissen dazu kommt: „Ich brech so schnell zusammen… Ich krieg ja gar nichts hin… Starke Menschen reagieren nicht, wie ich es tue… Bin ich denn überhaupt nichts wert?“, dann entsteht ein großer Druck, der das Denken vernebelt und die Gefühle vergiftet. Insofern ist es vollkommen richtig: Schwäche zuzulassen, sich einzugestehen und sogar mitzuteilen IST ein Zeichen von Stärke.
Oh ja, Katharina, da hast Du sehr recht: es kostet immens viel Energie!