Jeden Tag müssen wir viel entscheiden: ob und wann wir aufstehen, was wir anziehen, was wir essen und wann und mit wem etc. Entscheiden scheint eine unserer wichtigsten Fähigkeiten zu sein. Zum Glück laufen viele dieser Entscheidungen mit wenig bewusstem Aufwand ab. Bei den meisten Menschen. Viele Hochbegabte sehen das anders:
Hochbegabte werden immer die möglichen Konsequenzen einer Entscheidung im Blick haben, ob sie wollen oder nicht.
Schon die morgendliche Entscheidung für oder gegen bestimmte Kleidungsstücke will gut durchdacht sein: welchen Temperaturen bin ich heute ausgesetzt? Welches Wetter haben wir? Bin ich draussen oder drinnen? Wem werde ich begegnen, in welchem sozialen Umfeld werde ich mich aufhalten? Wie fühle ich mich heute? Das sind nur einige der vielen Gedanken, die dabei eine Rolle spielen. Und hier sind Passform, Material und Trageeigenschaften der Kleidung selbst noch nicht erwähnt! Sicher ist das einer der Gründe dafür, dass viele Menschen selbst in kreativen, wenig reglementierten Berufsumfeldern, dazu tendieren, eine Art Uniform zu tragen: Jeans und T-Shirt, zum Beispiel. Eine Schwarze Hose und ein weißes Hemd.
Was sich als praktikabel erwiesen hat, wird der Einfachheit halber immer wieder genutzt.
Andere Dinge entscheiden sich nicht so leicht, denn sie haben weitreichendere Konsequenzen. Ein Wechsel der Arbeitsstelle zum Beispiel, oder ein Heiratsantrag, das sind Dinge, die gut überlegt sein wollen. Ihre Konsequenzen sind so groß, wirken so weit in die Zukunft hinein, dass es auf viele Menschen geradezu lähmend wirkt: sie können sich nicht entscheiden. Hier kann eine andere Sichtweise auf die menschliche Entwicklung hilfreich sein.
Manche Entscheidungsfindungen sind Gärungsprozesse.
Um über eine Selbständigkeit zu entscheiden, musst Du nicht nur alle äusseren Faktoren und Deine Persönlichkeitsstruktur berücksichtigen, sondern unter Umständen auch Zeit ins Land gehen lassen. Denn oft muss in Dir etwas reifen, gären, und erst entstehen.
Für eine Gärung braucht man Zeit, Zucker, Hefe und eine anaerobe Umgebung. Letzteres, weil die Hefe sonst einen einfacheren Weg zur Energiegewinnung gehen würde. Nur unter Sauerstoffmangel wird sie die alkoholische Gärung in Gang setzen. Da die Hefe selbst durch Alkohol abstirbt, erreicht der Gärprozess bei einer gewissen Konzentration ein Ende.
Was braucht nun Dein Gärungsprozess, ausser Zeit?
Der Zucker, die Süße, steht für Liebe, abgeschwächt auch für Zuneigung oder Zuwendung, je nach Thematik. Du weißt sicher selbst, dass manche Entscheidungen sehr viel Kraft kosten, und es dann gut tut, sich mit freundlichen Menschen zu umgeben, sich geliebt zu fühlen und freundlich mit sich selbst umzugehen. Aber da der Zucker der Grundstoff für die Gärung ist, entspricht er eben auch der Liebe, die dem Thema der Entscheidungsfindung von Dir entgegen gebracht wird: wie wichtig es Dir ist, hier zu entscheiden! Wie oft Du daran denkst!
Der anaeroben Umgebung entspricht die Zurückhaltung, die wir oft bei den wirklich großen Themen an den Tag legen: wann wir bereit sind, einen Heiratsantrag zu machen, dass entscheidet sich eben in uns, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wirklich wesentliche Dinge behalten wir gerne für uns, oft zu lange, manchmal zum Schaden, aber in diesem Fall vollkommen zu Recht.
Zeit, zugewandte Aufmerksamkeit und Verschwiegenheit sind das Milieu, in dem die Entscheidung reifen kann.
Doch was entspricht der Hefe? Was löst die Gärung aus? Manche alkoholischen Getränke werden auch durch Fermentation gewonnen. Dabei kann menschliche Spucke eine Rolle spielen, wie bei der Chicha in den Anden. Oder es sind eben die Hefebakterien auf dem Obst, wie beim Wein. Beides könnte man in anderen Situationen als „Dreck“ bezeichnen: eine Zutat, die an sich nicht gern gesehen wird, aber in diesem speziellen Fall einen Prozess in Gang setzt, der ein wünschenswertes Ergebnis liefert.
Der Hefe entspricht also der Missstand, der „Dreck“, der mit dem Entscheiden behoben werden soll.
Ob es die imperfekte Situation im bisherigen Beruf ist, oder der Wunsch, sichtbarer und deutlicher zum geliebten Menschen zu gehören – ein Mangel, eine Unruhe, eine Sehnsucht setzt den Gärungsprozess der Entscheidungsfindung in Gang. Oft sogar unbemerkt von Dir selbst. Das sind die Situationen in denen beispielsweise eine „innere Kündigung“ Tatsachen schafft, indem sie ans Licht kommt.
Und dem Alkohol entspricht die Klarheit des Geistes, der am natürlichen Ende dieser Gärung weiß, wie zu entscheiden ist.
Die Klarheit entzieht den unausgegorenen Problemen die Existenzgrundlage: wenn ich meine Antworten habe, dann ist die Situation geklärt, ich kann die Entscheidung nach Aussen tragen. Ich habe meine Missstände erkannt, meine Lösung gefunden, und kann jetzt loslassen.
Einen weiteren beteiligten Stoff haben wir noch nicht erwähnt: das Kohlenstoffdioxid! In gewisser Dosierung willkommen, aber nicht ganz ungefährlich.
Dem Kohlendioxid entspricht die innere Unruhe, die wir fühlen, wann immer so eine langwierige Entscheidungsfindung notwendig ist.
Wir werden immer gereizter, unruhiger, gehen bei jeder falschen Bemerkung der Kollegin hoch. Natürlich! Dieses sprudelnde Unbehagen muss sich Bahn brechen, oder aber gezielt abgelassen werden, beispielsweise in Form von körperlicher Betätigung. Ohne diese Unruhe würden wir der Entscheidung vielleicht aus dem Wege gehen. Aber dank des Unbehagens bleiben wir am Thema, geben den Gedanken genug Aufmerksamkeit, um irgendwann, in angemessener Zeit, zu Entscheiden.
Möge Deine Entscheidung dann ein Anlass sein, mit Sekt anzustoßen!
Herzlichst, wo immer Du gerade bist,
Hallo Johanna,
witziger Vergleich und sehr ansprechend beschrieben
Dann hoffen wir mal, dass bei langsamen und langwierigen Gärprozessen auch was besonders edles rauskommt…
Liebe Grüße und bis bald wieder beim Stammtisch.
Nicole
:-) Ja, das hängt wieder von allen Faktoren ab, nicht wahr?
Lieben Gruß
Johanna