Wie Du Dich der Welt zeigst, das ist abhängig von vielen unbewussten und bewussten Faktoren. Zu allererst davon, wem Du Dich zeigst: sind es Fremde, Freunde, Feinde oder Familie? Dann auch davon, in welchem Kontext Du Dich zeigst: bist Du Gast, Gastgeber, Mitmensch, Redner oder Publikum? Lauter wichtige Parameter. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Dein „gefühltes Selbstbild“ noch wichtiger ist: wie fühlst Du Dich gerade mit Dir selbst? Hast Du -in Deinen Augen- einen Makel? Hier rede ich heute ausnahmsweise ganz oberflächlich nur von sichtbaren Makeln.
Wenn ich mich – beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen – gerade schlecht fühle, mich selbst nicht mag, dann kann ich auch nicht offen auf andere zugehen.
Fühle mich verletzlich und angreifbar. Also werde ich je nach Situation versuchen mich im Hintergrund zu halten, nicht in den Fokus zu geraten oder sogar gleich ganz zuhause bleiben. Das ist kein Problem, wenn es eine Ausnahme bildet. Jeder hat mal einen solchen Tag. Was aber, wenn etwas an mir mich selbst so grundlegend irritiert, dass ich mich niemals wirklich wohl in meiner Haut fühle? Wie begegne ich der Welt, wenn ich mich „unwürdig“ fühle? Wenn ich mich zu dick/dünn/weiß/hässlich/fleckig/schief/… fühle?
Viele -wenn nicht die meisten- Menschen haben ihrer eigenen Meinung nach einen Makel, der sie von anderen unterscheidet.
Beim einen sind es wiederkehrende Pickel, die in seiner Vorstellung rot leuchten wie ein Signal. Bei der anderen sind es die dünnen Haare, durch die die Kopfhaut leuchtet. Beim dritten der schuppende Hautausschlag. Bei der vierten ihre überdurchschnittliche Körperlänge. Beim fünften die zu schmalen Schultern, bei der sechsten die zu breite Hüfte. Dinge die uns selbst im Spiegel ständig als erstes auffallen. Vieles davon kann man nicht so einfach verstecken.
Erstaunlicherweise fällt vieles davon beim Umgang mit anderen Menschen aber auch nicht wirklich ins Gewicht.
Denn wir alle haben diese Tage, haben Pickel, Bad Hair Days, Doppelkinn, Rosazea, Krampfadern oder Warzen. Wir entsprechen in den seltensten Fällen, und nur für höchsten 5 Jahre, dem gängigen Schönheitsideal. Denn Makellosigkeit ist per se nicht erreichbar. Wir sind Menschen! Selbst SchauspielerInnen und Models aller Geschlechter, treten nur geschminkt, geschnürt und geföhnt vor die Kameras – weil sie genauso Makel haben, wie Du, wie ich, und wie die lustige Frau mit dem dunklen Muttermal auf der Wange. In dem Moment, in dem Dir klar wird, dass Du diese vermeintliche hervorstechende Eigenschaft eines Makels mit nahezu allen Menschen auf diesem Planeten gemeinsam hast, kann sich etwas in Dir entspannen.
Makellosigkeit ist eine Frage des Blickes.
Sehe ich mit dem Auge des Fotografen, oder des Anzeigengestalters auf ein Gesicht, so wird jede kleine Verfärbung, jede Asymmetrie mich anspringen. Wenn ich aber das Auge des Bäckers/Verkäufers habe, dann interessiert mich nur, ob dieses Gesicht mit mir spricht, ob es mit mir interagieren will. Der Lehrer wiederum wird nach Anzeichen von Müdigkeit oder von Verständnis suchen. Der Arzt interessiert sich schon eher für die Haut, aber das ist ja seine Aufgabe, genau wie bei der Kosmetikerin. Liebende Großmütter sind erfahrungsgemäß blind für Makel.
Anteilnahme schaut anders als Boshaftigkeit – beide finden stets, was sie suchen.
Wer Dich mag, kommentiert vielleicht besorgt, was er sieht, hat aber Dein Wohlergehen im Sinn. Hat es jedoch jemand darauf angelegt, Dich zu demütigen, dann wird er immer etwas finden. Dagegen hilft Dir eher Dein Selbstwertgefühl, Dein Selbstbewusstsein, als Dein Aussehen. Frag mal eine schöne Blondine mit guter Figur, wie sie sich fühlt, was sie erlebt, und ob ihr Leben wirklich glücklicher ist als Deines. Ich fürchte, sie wird verneinen. Denn auch sie kennt sicher boshafte Kommentare, und auch sie ist immer nur dann stark, wenn sie sich selbst liebt und akzeptiert. Denn das ist das ganze Geheimnis: Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Und die sind nun mal tagesformabhängig.
Sicher ist es nicht einfach, seine Makel zu lieben. Aber sich selbst seiner Makel zum Trotz zu lieben, das ist möglich.
So werde ich mich heute, wo mein Gesicht meine Neurodermitis leuchtend vor mir her zu tragen scheint, dennoch in diese Welt hinaus wagen. Denn meine Haut ist ein Teil von diesem Körper, in dem ich mich an sich doch ganz wohl fühle. Ich lebe in diesem Körper mein Leben so glücklich ich nur kann, trotz empfindlichster Haut, Allergien, Übergewicht, Rückenschmerzen, Neuralgien, Pickeln, Haaren an den falschen Stellen und diesem linken Auge, das deutlich kleiner ist als das rechte. Auf diesen letzten Umstand wurde ich übrigens noch nie von jemand anderem als meiner Mutter hingewiesen. Wenn, dann wurde die Augenfarbe gesucht, oder das Strahlen oder der Schalk darin kommentiert.
Danke! Das habe ich gebraucht. Fühle mich schon viel besser :)
Das freut mich aber! :-D
Danke, wie immer ein schöner Text :)
Dankeschön!