Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht.
Dieses vermutlich afrikanische Sprichwort beschwört ein glasklares Bild herauf. Jeder wird dieser Aussage vermutlich zustimmen… und doch sind wir so oft unzufrieden, weil etwas nicht schnell genug wächst, sich nicht schnell genug entwickelt. Vor allen Dingen die ungeduldigen Vielbegabten kennen die Situation: da hat man sich etwas vorgenommen, möchte gerne etwas Neues lernen oder tun, und obwohl man so motiviert ist, und schon viel dafür getan hat, taucht immer wieder ein Widerstand zwischen uns und unserem Ziel auf.
Wir wollen etwas wirklich gerne tun, tun es aber nicht.
Nicht Zweifel oder Unsicherheit lähmen uns hier, nein, hochmotiviert sind wir uns sicher, dass dieses Ziel gerade genau das richtige für uns ist. Und dennoch verbringen wir unsere Zeit mit unwichtigen anderen Dingen, halten uns selbst vom Üben ab, schieben andere Termine vor und haben spontan das dringende Bedürfnis, auszumisten, umzuräumen oder den Dachboden zu entrümpeln. Es handelt sich also auch nicht um simple Prokrastination oder „Aufschieberitis“, denn die taucht in der Regel im Zusammenhang mit unangenehmen Aufgaben auf.
Welche Ursachen kann dieser Widerstand haben?
Eine mögliche Ursache, die man niemals ausser Acht lassen sollte, ist unsere Angst. Hier meine ich weniger die konkreten Ängste vor Versagen oder Kritik, sondern den Teil unserer Persönlichkeit, der auf uns aufpasst. Uns schützt. Uns lernen lässt, dass eine Herdplatte zu heiß sein kann, und ein Fremder in einer dunklen Gasse gefährlich. Den Teil, der uns dazu bringt, wegzulaufen, wenn es brennt, oder zu kämpfen, wenn wir angegriffen werden. Dieser Teil in uns möchte uns schlechte Erfahrungen und Verletzungen jeder Art ersparen. Und in einer neuen Situation, in der wir die Konsequenzen nicht absehen können, versucht unsere Angst uns vor der Veränderung an sich zu schützen, und vor allen potentiellen daraus resultierenden Verletzungen.
Unsere Angst will uns helfen und schießt manchmal über das Ziel hinaus.
Denn wenn wir keinerlei Veränderungen in unserem Leben zulassen, dann kann auch keinerlei Entwicklung stattfinden, und wir werden unter Umständen eines Tages aufwachen und uns fragen, ob wir überhaupt am Leben sind, oder nur existieren. Wir brauchen Veränderung und müssen Risiken eingehen. Ja, zugegeben, manchmal scheint unsere Angst aus der Steinzeit zu stammen, und nur „Kämpfe oder flieh“ Optionen zu kennen. Und genau das kann uns blockieren. Wir müssen unserer Angst, uns selbst, klar machen, dass es hier mehr Optionen geben kann. Dass die Gefahren nicht mehr in Form von Säbelzahntigern lauern, sondern vielleicht in Form einer lähmenden Routine. Oder einer existentiellen Langeweile, vor der wir auch nicht weglaufen können. Wenn wir unsere Angst ernst nehmen, sie uns bewusst machen, dann können wir uns gemeinsam mit ihr verändern.
Unsere Angst kann lernen. Wir können lernen.
Wenn also unser Widerstand gegen dieses neue, grandiose Ziel wirklich in unserer Angst begründet lag, dann können wir uns genau anschauen, was die Angst getriggert hat, und ob das wirklich eine Bedrohung ist. Vielleicht ist es keine Bedrohung, sondern eine Aufgabe, und wir lösen sie, und können weitergehen.
Vielleicht ist der Widerstand aber ein ganz anderer, und selbst die gründlichste Selbstbefragung bringt uns nicht weiter. Vielleicht haben wir gar keine Angst, und gehen das Ziel dennoch nicht an. Wir finden keinen Weg uns zu zwingen, und trödeln herum. Aber vielleicht ist das richtig so, gut so. Vielleicht ist das genau das was fehlt.
Vielleicht braucht unser wundervolles Ziel einfach nur Zeit.
Wie das Gras. Wie das Kind im Mutterleib, dessen Entwicklung kein noch so ungeduldiges Geschwisterkind beschleunigen kann. Wie die Bereitschaft, zu heiraten, sich zu verpartnern oder sich in sonst irgendeiner sichtbaren Form zu einer Liebesbeziehung zu bekennen. Wie die Entwicklung vom Kind zum verantwortungsbewussten Erwachsenen.
Allen diesen Beispielen ist eines gemeinsam: sie brauchen ihre Zeit. „Ihre“ heißt hier vor allem eine spezifische. Bei bestimmten Grassorten einige Tage, bei anderen Wochen. Bei Menschen 9 Monate Schwangerschaft, bei anderen Lebewesen deutlich länger oder kürzer. Bei einem Menschen steht beim Kennenlernen fest, die ist es, bei einem anderen reift der Entschluss zur Hochzeit über viele – gemeinsam verbrachte – Jahre. Und wann ein Mensch verantwortlich zu denken und zu handeln beginnt ist absolut individuell.
Alles braucht seine Zeit.
Dieser simple Satz enthält das Potential zu Unglück, Ungeduld und Wahnsinn genauso wie das Potential, glücklich und gelassen zu machen. Es ist immer eine Frage der Sichtweise, die wir uns zu eigen machen. Und so schliesst sich der Kreis… wir werden unser Ziel zum genau richtigen Zeitpunkt erreichen. Wir werden niemals alle Faktoren unseres Lebens gleichzeitig kennen, und niemals wissen, welche Prozesse erst noch beendet werden müssen in uns, oder in anderen, bevor wir unser wunderbares Ziel erreichen können… erst wenn wir es erreichen wissen wir: wir sind da.
Das Gras ist gewachsen, es hat genau die richtige Länge. Ganz von allein.
Wenn Du also wieder mal an Deiner Motivation verzweifelst, und wirklich keine echten Widerstände finden kannst, dann lass mal ein bisschen gut sein. Warte mal ab. Und schreib mir gerne welche Erfahrungen Du damit machst! Ich bin gespannt…
Herzlichst, worauf auch immer Du gerade hinarbeitest,
Liebste Johanna, schöner Beitrag! Hast du ihn für mich geschrieben ;) Herzlich, Bea
Anscheinend… das freut mich!
Alles Liebe!