Ein gelungenes Leben… was das ist, damit habe ich mich schon im Blogpost Welche Früchte willst Du tragen? beschäftigt. Meine dort formulierte Definition ist:
Für mich persönlich ist ein gelungenes Leben eines, das demjenigen der es geführt hat im Rückblick, in der Stunde seines Todes, sinnvoll und gelungen erscheint.
Kürzlich hatte ich ein langes Gespräch mit jemandem, der schon mehr Jahre gelebt hat, als ihm vermutlich noch bleiben werden, und er sagte, er habe sein Leben vielleicht gar nicht richtig gelebt, zu viele falsch getroffene Entscheidungen. Und es sei zu spät, um daran etwas zu ändern. Ihm bliebe nur Bedauern.
Meine anfängliche Betroffenheit, in Resonanz und Mitgefühl, weicht langsam etwas anderem. Mich beschäftigt diese fatalistische Art, das Rennen verloren zu glauben, bevor das Ziel in greifbare Nähe gerückt ist. Mich beschäftigt auch diese Ohnmacht, die in seinen Worten mitschwang. Ich bin nicht in seinen Schuhen gelaufen, und habe nicht durch seine Augen geblickt – aber Fatalismus widerstrebt mir. Zutiefst.
Gestern und vorgestern können wir nicht ändern, unsere Zukunft, unser Morgen und Übermorgen haben wir nicht im Griff. Uns gehört nur dieser eine Tag: Heute.
Ganz egal, welche Fehlentscheidungen wir gefällt haben mögen, wie viele Jahrzehnte wir auch unter der falschen Flagge gesegelt sind – heute können wir uns anders entscheiden. Wenn wir jahrzehntelang immer die obere Brötchenhälfte genommen haben, weil wir dachten, unser Mann möge die untere Hälfte lieber, und eines Tages stellen wir fest: er hat die ganzen Jahre für uns dasselbe getan, die untere genommen, weil er dachte, uns schmecke die obere besser… dann können wir um all diese vergeudeten Genüsse trauern, oder laut lachend heute endlich das Brötchen so aufteilen, dass jeder zufrieden ist. Und beginnen zu reden. Und zuzuhören.
Was aber, wenn wirklich große Lebensentscheidungen bedauert werden, wenn vielen Jahren der Stempel „Misslungenes Leben!“ aufgedrückt wurde?
Lohnt sich die Trauer und das Bedauern denn dann? Ist es denn sinnvoll, die verbleibende Zeit mit dem Beweinen falsch getroffener Entscheidungen zu verbringen? Dieses Leben als falsch gelebtes zu beenden, im steten Bewusstsein des „Was hätte nicht alles sein können, wenn ich mich anders entschieden hätte!“ die letzten Jahre mehr zu ertragen als zu erleben? Sich auf Schadensbegrenzung zu beschränken? Sozusagen das Beste aus „dem kümmerlichen Rest“ zu machen?
Gibt es überhaupt eine andere Möglichkeit?
Ich habe keine Antwort darauf. Ich bin noch vergleichsweise jung, mitten im Leben. Meine Vergangenheit, egal wie viele Fehlentscheidungen gefällt wurden, hat mich hierher gebracht, wo ich nun gerne bin. Also bedauere ich nicht. Ich lebe heute. Meine Wurzeln liegen hinter mir, meine Zukunft vor mir birgt neue Möglichkeiten, neue Fehler, Trauer und Glück. Mit allen Farben, die ein Leben haben kann. Und ich hoffe sehr, dass das auch so bleibt, bis zum letzten Atemzug.
Meiner Meinung nach liegt ein gutes Stück Gelingen im Erleben des Lebens selbst, und das geschieht immer in einem einzigen Moment: Jetzt.
Was kann ich nun meinem alten Freund raten, der so dem ungelebten Leben nachtrauert, dass ihm seine Macht über sein Jetzt und Hier gar nicht bewusst ist? Mir fällt nur eines ein, eine klitzekleine Sache, die schon so vielen Menschen allen Alters geholfen hat: ich rate ihm ein Glückstagebuch zu führen. Ein Büchlein neben sein Bett zu legen, in das er jeden Abend treu drei Dinge einträgt, die ihn heute glücklich gemacht haben. Nur drei. Mindestens drei. Höchstens… na gut, höchstens fünf. Jeden Abend.
In ein paar Monaten wird ihm hoffentlich auffallen, wie gut das Leben ist. Das „misslungene Leben“, das nun mal sein Leben ist. Dieses Leben, hier, heute, jetzt. Sein buntes Leben.
Herzlichst, wo immer Du gerade bist,
Wenn ein Glückstagebuch nicht aufregend genug scheint, dann kann man ein Erfolgstagebuch oder ein Lobtagebuch schreiben: jeden Abend drei Dinge auflisten, für die man sich selbst loben kann. Auch wenn es schwer fallen mag, es lohnt sich unbedingt. Und ich freue mich über Erfahrungsberichte! Hast Du es schon mal ausprobiert? Möchtest Du?
Liebe Johanna,
die Idee mit dem Glückstagebuch ist wunderbar! Das habe ich auch eine Weile gemacht und es verändert deinen Blick auf die Welt total. Mittlerweile habe ich das Gefühl, es nicht mehr zu brauchen, da ich auch so das Glück sehen kann. :-)
Liebe Grüße,
Marie
Schön zu hören! So soll es sein. … :-)
Herzgruß, Johanna