Jeder kennt doch sicher den inneren Schweinehund, oder hat eine Art Oberlehrer in sich. Man fragt sich vielleicht auch, warum man denn in bestimmten Situationen immer wie ein/e Kind/Ignorant/Diva/… reagiert, auch wenn man das eigentlich gar nicht will. (Hier ist nicht das Zuckertief gemeint, bei dem sicher auch mal ein Schokoriegel hilft…) Da springt jemand in uns nach vorn, ergreift das metaphorische Steuer und hat gehandelt, bevor wir uns bewusst für eine bestimmte Reaktion entschieden haben. Diesen Automatismen kann man beikommen, indem man sich auf ein gedankliches Experiment einlässt: auf sein Inneres Team.
Die Grundlage der Arbeit mit dem Inneren Team ist, sich selber genau zuzuhören.
Jedem unserer inneren Teile, ob dem ewigen Zweifler, dem Krieger, der Buchhalterin, Karrierefrau oder dem inneren Kind, jedem wird eine Stimme, ein Name und eine Gestalt zugestanden. So kann man sein Verhalten genauer analysieren, beispielsweise besser verstehen, zwischen welchen inneren Positionen und Bedürfnissen man in einer Situation hin- und hergerissen ist. Die Anhörung und auch Würdigung aller inneren Stimmen ist wichtiger Teil einer gesunden Psychohygiene, der innere Spannungen abbauen kann, und letztlich der Selbstermächtigung dient.
Ein Beispiel:
Jemand bittet mich, sie mit dem Auto zu fahren. Sie könnte auch das Fahrrad nehmen, aber es droht Regen. Ich selbst habe einen arbeitsreichen Tag vor mir und „eigentlich“ keine Zeit. In meinem Inneren debattieren also der pflichtbewusste Buchhalter, das Mutti, der Schweinehund, die Gouvernante und andere:
Buchhalter: Wir können uns das nicht erlauben, wir haben zu tun! Da sind die Termine und die viele Arbeit…! Keine Diskussion.
Mutti: Aber, die Arme! Guck dir das Wetter doch an, das ist doch unmenschlich, sie einfach im Stich zulassen!
Zwischenruf vom Märtyrer: Sonst liebt sie mich nicht mehr, meine Arbeit ist unwichtig, sie ist wichtig, ohne sie kann ich nicht überleben, wir müssen sie fahren, alles für sie tun…(diese Stimme wird schnellstmöglich verdrängt)
Schweinehund: Och nö, was’n Stress… lass ma, die kann ruhig selba fahrn. Echt jetz, geht’s noch.
Gouvernante: Sonst sind wir selten einer Meinung, aber ja, sie sollte selbst fahren, im Sinne ihrer Persönlichkeitsbildung ist das wichtig! Es geht nicht an, dass sie denkt, wir säßen hier nur rum, um ihr zur Verfügung zu stehen!
Kriegerin: Heute ist unsere Arbeit wichtiger. Sie ist nicht in Gefahr, sie wird höchstens nass. Punkt.
Ich als Teamleiterin: Nun, also kann ich meine Arbeit machen und ihr noch einen pädagogischen Dienst erweisen. Falls sie nach einigen Metern von einem Platzregen überrascht werden sollte, kann ich sie ja noch fahren. Aber erstmal an den Schreibtisch.
Hier waren verschiedenste Teile vertreten, durften ihre Meinung sagen, und ich habe diese abgewogen, in Relation gesetzt und mich dann entschieden zu handeln. Das war eine relativ einfache Situation, in der dieses klärende innere Gespräch nicht bewusst ablief.
Man kann sich aber deutlich kompliziertere Situationen vorstellen, und auch Teammitglieder, die schwieriger im Umgang sind, wie der sicher vielen nur zu vertraute Kritiker. Meist sind sie uns nicht bewusst, prägen aber unsere Reaktionen.
Wenn Du diese inneren Teile kennst, kannst du ihre Stimmen auch in schwierigen Situationen identifizieren, und bewusst handeln.
Um sich einen Überblick über diese inneren Teile zu verschaffen, kann man sich eine Versammlung vorstellen: eine imaginierte
Teamkonferenz, Ratsversammlung oder ein Jamboree.
Wesentlich ist hierbei, dass jedes Teammitglied eingeladen wird, sich mitzuteilen und dazuzusetzen. Auch die bisher unbekannten Teile werden willkommen geheissen.
Hauptsache, so viele der inneren Stimmen wie möglich und nötig erhalten angemessenen Raum um
- sich zu zeigen
- Bedürfnisse zu äußern
- Geschenke und Fähigkeiten beizusteuern
- mit Antagonisten und auch mit Alliierten in Kontakt zu treten
Diese Ratsversammlung einzuberufen ist eine Visualisierungsübung, zu deren Durchführung man sich eine erfahrene Begleitperson suchen sollte, wenn man nicht schon viel Erfahrung mit dieser Form der Selbsterforschung hat. Zu zweit zu sein erleichtert beispielsweise das Notieren der Namen und Botschaften, so dass der Visualisierende ganz in seiner inneren Bilderwelt bleiben kann. (Für die, die sich gerne mit Tieren beschäftigen, schlage ich den Inneren Zoo vor!)
Manchmal ergibt sich aber auch im Coachingprozess ganz von selbst nach und nach, welche inneren Teile in einer Person stecken. Diese bekommen dann irgendwann einen treffenden Namen und ihre Botschaft kristallisiert sich im Laufe der Zeit heraus. Das kann sehr zwanglos und organisch in die Arbeit einfliessen.
In jedem Moment bin ich mir dessen bewusst, dass ich hier nur ein Modell spielerisch ausbreite, das Menschen dienen kann, um sich besser kennen zu lernen, und bewusster zu leben. Jedes Teammitglied ist ein untrennbarer Teil von dir, der mal mehr mal weniger im Vordergrund steht und mal mehr mal weniger dein Handeln bestimmt. In einem ewigen Tanz pendelst du zwischen den Standpunkten,
Zwischen Identifikation und Desidentifikation
Manche der Teammitglieder werden dir vertrauter sein als andere, und manche sind dir nicht willkommen, lösen ein „So bin ich doch nicht!“ aus. Aber je unbefangener du dich auf diese Idee einlässt, umso sinnvoller ist diese Arbeit. Denn wir alle haben auch Teile in uns, die wir selbst verurteilen oder fürchten, und deshalb negieren. (In einem anderen Modell sprechen wir vom „Schatten“, der sozusagen die Summe dieser unwillkommenen, unbewussten Anteile ist) Wenn du deine innere Schreckschraube, oder die mitleidlose Raubkatze, oder den humorlosen Spießer einfach ignorierst, dann stiften sie innerhalb deines Teams Unfrieden und drohen eher in Stresssituationen deine Handlungen zu bestimmen, als wenn du sie kennst, anschaust und nach ihrer Botschaft für dich fragst.
Um beim Beispiel der Schreckschraube zu bleiben, dann kannst du sie befragen, was sie dir mitzuteilen hat, und hörst dann vielleicht: „Na endlich werd ich mal gefragt! Immer hörst du allen zu, noch dem letzten Deppen, aber um meine Bedürfnisse nach Ruhe und Erholung kümmerst du dich immer erst, wenn du krank wirst! So dumm kann man doch gar nicht sein! Schick einfach mal die andern früher in die Wüste, und heb ein bisschen von deinem Mitgefühl für dich selbst auf! Dann machst du endlich mal Pause, und ein Nickerchen, und bleibst gesund!“
Hier wird klar, dass die Schreckschraube nur ein Ziel hat: dich vor Überarbeitung zu schützen und an Selbstfürsorge zu erinnern. Sie mag ein unangenehmes Teammitglied sein, ist aber entstanden um dir einen bestimmten Dienst zu erweisen. Und das ist ein Kernpunkt dieses Modells:
Jedes Mitglied im Inneren Team hat eine Funktion
Von Selbstschutz über Zeitmanagement und der Pflege Sozialer Kontakte bis zur Verteidigung im Angriffsfall sind viele denkbar. Wir alle haben ein inneres Team, haben widerstreitende Stimmen, die sprichwörtlichen „zwei Seelen“ in unserer Brust. Diese spielerische Herangehensweise, bei der man viele Entdeckungen machen kann, Überraschungen erlebt, aber auch Frieden finden kann, ist ein mächtiges Werkzeug zur Selbsterforschung. Und wenn du dir über deine Teammitglieder und ihre Absichten oder Botschaften im Klaren bist, dann kannst du auch besser auf dich hören: Pausen machen, Risiken wagen, Sicherheiten suchen oder Veränderung zulassen, ohne dass die Schreckschraube oder der Kritiker dich (und andere) erst piesacken muss. Du kannst ihnen zuhören, und ihnen zeigen, dass du ihre Beweggründe verstehst, und in deine Handlungsentscheidungen einbeziehst. Und je bewusster du dir deiner inneren Beweggründe bist, um so zielgerichteter und entspannter kannst du durch dein Leben gehen. Hast Du Lust, dich auf dieses Modell einzulassen?
Herzlichst, wo immer Du bist,
P.S.: Wer mehr über die Arbeit mit dem Inneren Team wissen möchte, dem sei das folgende Buch empfohlen:
„Miteinander Reden 3: Das <Innere Team> und situationsgerechte Kommunikation“, Friedemann Schulz von Thun, Rowohlt Taschenbuchverlag,1998
P.P.S.: Einige andere Wege zur Selbstwahrnehmung findest Du in Weg(e) vom Problem zur Klärung Teil 2.
P.P.P.S.: Schau unbedingt auch mal bei Deinem inneren Zoo vorbei!
Oh, Johnny! Diesen Blog hatte ich vermutlich nie zu Ende gelesen, aus welchem Grund auch immer… welche Möglichkeiten tun sich auf! Welche Diskussionsrunden! Ich rechnete bisher nur immer mit sehr begrenzter „Belegschaft“ – meist oppositionell…
Sollte ich bald einmal wieder in deiner Nähe sein, Johanna: bitte ich um reichlich Zeit, um mit deiner Hilfe einige Persönlichkeiten aus meinem Team besser kennenzulernen. Im Augenblick scheint jede in eine andere Richtung am Strang zu ziehen – nervig.
Herzlich, und mit Dankeschön, wie immer! Friederike
Bitte gerne,
wenn der Termin rechtzeitig eingeplant wird…
Freu mich, herzlichst,
Johanna