„Selbstdisziplin“…brrrrr….was ein Wort!
In meinen sensiblen Ohren klingt im Wort „Selbstdisziplin“ immer ein Vorwurf mit. Das liegt zum Teil daran, dass ich oft zu hören bekam, ich solle doch „endlich mal was fertig machen“, „mein Instrument regelmäßig üben“, „endlich etwas durchziehen bis zum Schluss“…. ich bräuchte doch „endlich ein bisschen Selbstdisziplin“. Auch, als Ergänzung: „Du müsstest das doch besser wissen!“
In meinem Kinderhirn kam vor allem an: „So wie du bist, bist du falsch, nicht gut genug.“ Ein destruktiver Gedanke, kein motivierender. Und so nahm sie langsam Formen an, aus reinem Selbstschutz: die Trotzhaltung!
Mein kindlicher Trotz baute mir eine starke Trutzburg.
Ich konnte hinter den dicken Mauern verschnaufen, über meine tausend Ideen und Themen nachdenken, meiner unstillbaren Neugierde freien Lauf lassen, und nebenbei noch meine Mitmenschen, die so wertend mit mir gesprochen hatten, damit ärgern. (Denn es gibt ja nichts, was Eltern schneller aufregt, als die pubertierende Gummiwandpersönlichkeit, an der alle Ermahnungen genauso abprallen wie echtes Interesse und Liebe! Mittlerweile habe ich selbst Kinder… bitte verzeih mir, Mama!). Die Trotzphase in der Kindesentwicklung ist notwendig, um Grenzen setzen zu lernen und der persönlichen Freiheit näher zu kommen. Manchmal, aus verschiedensten Gründen, wird sie aber über das übliche Maß hinaus verlängert. So bei mir.
Irgendwann hatte ich noch einen Wassergraben und ein paar Monster hinzugefügt, und litt nun unter meiner Unberührbarkeit. Ich hatte einfach alle Menschen ausgesperrt, ohne zu realisieren, dass ich mich dabei in meiner Trotz-Burg eingesperrt hatte. Ich zimmerte mir ein Selbstbild, in dem Trotz und Disziplinlosigkeit großen Raum einnahmen… garniert mit Schwäche, Naivität, Wankelmut und anderem. Die Burg gab auch Geborgenheit, als ich diese nicht bei den Menschen fand. Sie erfüllte Bedürfnisse, daraus war sie entstanden – all unsere Mechanismen wollen uns Gutes. Das macht sie ja so stabil und mächtig!
Viel Arbeit war (und ist!) nötig, um diese stabilen Mauern abzutragen. Beharrlich arbeite ich seit vielen Jahren daran, mich aus dem Panzer meiner kindlichen Trotzhaltung zu befreien… beharrlich, stetig, unermüdlich. Aus innerem Antrieb heraus. Warte mal, das könnte man doch auch anders nennen: Selbstdisziplin!
Der Trotz führte mir also letztendlich meine Selbstdisziplin vor.
Erst entwickelte ich die Fähigkeit, mich zu schützen, mit den mir damals zur Verfügung stehenden Methoden. Jedes Thema, das mich wirklich interessierte, verfolgte ich ausdauernd – das waren nur nicht unbedingt die Themen, die meine Umwelt mir aufdrücken wollte… Heute entdecke ich meine Selbstdisziplin an so vielen Orten… Zum Beispiel in meiner Fortbildung, wo ich voller Neugier Bücher durcharbeite, und alles zum Thema aufsauge wie ein durstiger Schwamm, jeden Tag. Die Selbstdisziplin hilft mir hier vor allem dabei, Pausen zu machen.
Das Stricken habe ich in den letzten Jahren immer mehr als kreative Erholung entdeckt: Muster berechnen, planen und dann Masche für Masche umsetzen – definitiv nur möglich mit Disziplin!
Dass ich jeden Morgen aufstehe, obwohl ich zuhause arbeite, ohne Chef und Stechuhr – Selbstdisziplin. Auch die Organisation eines vierköpfigen Haushalts plus Hund und Katze wäre mir nicht möglich ohne eine große Portion Selbstdisziplin (denn ehrlicherweise sind die Toleranzschwellen von Mann und Teenagern doch in vielem noch weit höher als meine…). Ich behaupte mal:
Kein Erwachsener kommt ohne Selbstdisziplin durchs Leben.
Mit Sicherheit bin ich eine von Vielen, die ein Problem mit den Begriffen „Disziplin“ oder „Selbstdisziplin“ haben. Zu vielen Kindern, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur mit Leichtigkeit von Thema zu Thema sprangen und bei jeder Tätigkeit nur bis zu ihrem individuellen Befriedigungspunkt blieben, wurde vorgeworfen, nicht „auf ihrem Hintern sitzen“ zu können. Oder eben nicht bei einer Sache zu bleiben. (Und das, obwohl diese Kinder oft tagelang ein dickes Buch nach dem anderen verschlingen…!)
Was das letztendlich beim Kind auslöst, hängt von seiner Gesamtstruktur ab, von allen Parametern. Bei mir entstand neben dem Trotz noch der Glaubenssatz „Ich bin undiszipliniert und werde niemals etwas richtig zum Abschluss führen!“, der mich auch durch mein halbes Leben begleitet hat. Bestärkt durch Studienabbruch, und sogar durch einen notwendigen Kaiserschnitt („Natürlich, ich kann ja nix richtig zuende bringen!“) kam das erst richtig ins Wanken, als ich die Bauleitung unseres Hauses vom bankrotten Bauträger übernahm. Das Haus wurde fertig, in Rekordzeit und mit guter Laune bei allen Beteiligten. Ein Zufall? Ein Wunder? Nein:
Wo mein waches Interesse liegt, bin ich sehr diszipliniert!
Das Geheimnis meiner nicht vorhandenen Selbstdisziplin als Kind lag einfach darin, dass mich die Ziele nicht interessierten. Das Üben eines Instrumentes macht mich wahnsinnig, lieber bleibe ich Dilettantin*, als dass ich Stunden mit der Wiederholung von Handgriffen verbringe! Da ist meine Motivation von Anfang an nicht hoch genug.
Wenn mich etwas fesselt, wie beispielsweise die Herstellung eines Patchworkstücks, weil ich das einfach mal ausprobieren möchte, dann kann ich Naht um Naht versuchen, wieder auftrennen und noch einmal neu nähen… nicht endlos, aber sehr geduldig. Sobald ich dann ein Teil erschaffen habe, das meinen Ansprüchen genügt, kann ich das Nähzeug erstmal einmotten. Keine Motivation mehr für einen kleinen Stich neben dem anderen…
Wenn ich mit Aquarellfarben nass in nass ein in meinen Augen sehr gutes Bild male, dann habe ich diese Technik zu meiner Zufriedenheit gemeistert, und wende mich der nächsten zu. Wenn ich einen richtig schönen kleinen Socken gestrickt habe, dann bleibt er eher einsam, als wenn der erste nicht so perfekt gelingt…
Seit ich diesen Mechanismus von Interesse, Motivation und Befriedigung meines individuellen Scannertums** erkannt habe, bin ich versöhnter mit dem Begriff der Selbstdisziplin. Auch wenn ich das Wort immer noch als aggressiv und einschränkend empfinde. Aber
Selbstdisziplin ist ja keine Disziplinarmaßnahme.
Wir wollen uns durch Selbstdisziplin nicht bestrafen oder quälen, sondern sie ist ein Werkzeug. Mit Selbstdisziplin können wir unsere Ziele erreichen und das Leben führen, das wir anstreben. Natürlich benötigen wir dafür mehr als nur Disziplin!
- Wir brauchen ein eigenes Ziel, das uns lockt, attraktiv und verführerisch genug ist, um uns zu motivieren.
- Wir brauchen einen Plan, einzelne Schritte, damit es kein unüberwindbarer Berg ist, der vor uns steht.
- Wir brauchen manchmal Mitstreiter, auf jeden Fall Menschen die uns wahrnehmen, begleiten und uns anfeuern, wenn wir mal schlapp machen.
- Und, vielleicht das Allerwichtigste, wir brauchen so viel Zuneigung zu uns selbst, dass wir uns auch Schwäche zugestehen, und Pausen erlauben, und den Moment erkennen, wo nur noch ein neues Ziel uns weiter bringen kann…
Unter diesen Bedingungen ist meine Selbstdisziplin meine beste Freundin!
Dann freue ich mich, morgens aufzustehen, in mein Arbeitszimmer zu gehen, und mich in meine Arbeit zu vertiefen. Dann schaue ich mir meine Ziele regelmäßig an, ob ich überhaupt Bock habe, sie zu erreichen. Wenn nicht, dann überarbeiten wir sie. Dann bin ich erst verwirrt, wenn ich einen faulen Tag einlege, und „nichts“ tue, ohne schlechtes Gewissen… bis ich meine Selbstdisziplin mir ins Hirn flüstern höre: „Du warst einfach zu verkrampft, das hat keinen Spaß mehr gemacht! Und Spaß ist doch wichtig! Also einmal richtig durchhängen lassen, entspannen, und morgen wieder loslegen!“
Dann kann ich auch jede Woche bloggen, selbst wenn ich manchmal ohne Lust beginne.
Dann kann ich mich rufen hören: „Jippieh! Heute darf ich in Ruhe 8 Stunden arbeiten!“ und finde das nicht seltsam sondern einfach nur gut. Weil ich mich selbst genug liebe, um diszipliniert auf mein Traumleben hinzuarbeiten.
DAS nenne ich Selbstdisziplin! Und Du?
Herzlichst, wo immer du bist,
* Dilettant von ital. dilettare: bezaubern, entzücken. Oder auch Amateur: frz. Liebhaber… Instrumente zu spielen entzückt mich! Ich liebe es! Das genügt mir.
** zu diesen Zusammenhängen, Thema Vielbegabte bzw. Scannerpersönlichkeit empfehle ich das Buch „Du musst dich nicht entscheiden, wenn du tausend Träume hast“ von Barbara Sher (dtv)
Hej Johanna,
das Thema Selbstdisziplin hat mich auch schon viel beschäftigt. Jahrelang habe ich mich so um Disziplin in meinem Tun bemüht, dass daraus leere Form und Hülle wurde. Seit einiger Zeit versuche ich herauszufinden, was ich eigentlich will und brauche bzw. tun muss, um Zufriedenheit zu erleben. Interessant: Genau dieses Ausruhen, von dem Du schreibst, spielt auch bei mir eine große Rolle. Erst dann spürt man, wo man sich vergaloppiert hat, fremdbestimmt oder überspannt handelt.
Interessant finde ich Deinen Satz, der so endet: „…auf mein Traumleben hinzuarbeiten.“ Da stellen sich viele Fragen gleichzeitig. Gibt es da überhaupt ein Ankommen? Ist ein Traumleben möglich – klingt irgendwie so unrealistisch? Ist das Hinarbeiten auf ein Traumleben nicht vielleicht das Traumleben schlechthin, weil man Visionen hat? Oder hindert einen das Traumziel, das jetzt stattfindende Leben zu würdigen?
Ich kannte mal einen alten Gärtner, der, wann immer man ihn fragte, wie es ihm geht, antwortete: „Ich bin zufrieden.“ Mit warmem, freundlichem Blick, mit ruhiger Gelassenheit und absolut glaubwürdig. Die näheren Lebensumstände dieses alten Gärtners waren absolut nicht frei von Problemen. Eine geisteskranke Ehefrau, eine Gärtnerei, die sich kaum noch trug. Der Mann war und ist mir bis heute großes Vorbild… Ich wünsche mir oft, ich könnte mein zappeliges, ungeduldiges, überladenes und unzufriedenes Ego so zur Ruhe bringen wie er… Wunschlos glücklich sein, in der Gegenwart glücklich sein, Anspruchslos glücklich sein und innerlich ruhig sein… traumhaft.
Hallo Katrin,
ja, das wäre schön: zufrieden sein. Einfach das Leben so nehmen und akzeptieren, wie es ist. Aber das würde ich nicht als „wunschlos glücklich“ bezeichnen, sondern eben als zufrieden. Denn Glück ist ein großes Ding, flüchtig, mächtig, und rar. Und das ist auch gut so, denn Glück und Unglück sind Gewürze in der großen Lebenssuppe. Die möchte ich bitte weder zu süß, noch zu salzig. Oder?
Das Traumleben, das ich hier meine, ist kein Traumgeschöpf, kein Hirngespinst, sondern ein Leben, in dem ich mich mit all meinen Gaben einbringen kann. In dem Hindernisse Herausforderungen sind, und keine Mauern. Ein Leben in der Realität, in dem ich nicht Angst sondern Freude zu meinem Antrieb gemacht habe. Ohne rosa Brille, mit Mut und Tatkraft.