Sprache beeinflusst unser Denken. *
Selbst wenn das nur eine These ist, die innerhalb der Linguistik diskutiert und kritisiert wird, gibt es doch in jeder mir bekannten Sprache Beispiele, die sie bestätigen.
Erkläre ich einer Frau, sie sei in den Wechseljahren und ihre verschiedenen Symptome seien vollkommen normale, vorübergehende Zeichen einer tiefgreifenden Umstellung ihres Körpers, dann wird sie entspannter durch diese Zeit kommen, als wenn man das Klimakterium zu einer Störung der Gesundheit erklärt. Das beginnt mit der Sprache: Wechseljahre ist eine akkurate Beschreibung, unspektakulär und lebensnah. Wenn man die Beschwerden der Wechseljahre als klimakterisches Syndrom bezeichnet, schwingt die Notwendigkeit einer Behandlung mit. (Übrigens ist das Befinden in den Wechseljahren stark vom kulturellen Kontext geprägt!)
Ein weiteres Beispiel: eine unverheiratete, sexuell aktive Frau heisst…?
Nun, richtig, es gibt weder im Deutschen noch im Englischen ein neutrales, wertfreies, Wort für eine solche Frau. Es gibt den männlichen Junggesellen, aber weiblich? Mir fällt keine wertfreie Lösung ein! (Deine Ideen gerne als Kommentar – ich bin gespannt.)
Einerseits ist es also offensichtlich, dass im zwischenmenschlichen Bereich die Sprache einen großen Einfluss hat, andererseits machen sich scheinbar viele Menschen doch nicht genug Gedanken darüber. So viele Missverständnisse und Verletzungen könnten schon durch besseren Umgang mit den vorhandenen Worten vermieden werden.
Die Welt könnte ein freundlicherer Ort sein, wenn wir alle mit unserer Sprache etwas bewusster umgehen würden.
Ein paar der Fragen, die man sich dabei stellen könnte, möchte ich einmal auflisten:
- In welcher Beziehung stehe ich zu meinem Gegenüber?
Fremd? Bekannt? Freund? Kind? Respektsperson?
- Wie steht mein Gegenüber zum Thema?
Kompetent? Interessiert? Ahnungslos? Desinteressiert? - In welchem Kontext findet das Gespräch statt?
Lehre? Freizeit? Beruf? Zwiegespräch? Vortrag? - Geht es um mündliche oder schriftliche Kommunikation?
Brief? Zufallsbegegnung? Bewerbungsgespräch? Flyer? Vertragsverhandlung? Workshop? - Gibt es regionale oder kulturelle Besonderheiten im Umgang?
Reserviertheit? Höflichkeit? Direktheit? Herzlichkeit? Zurückhaltung? - Was ist meine persönliche Art der Kommunikation?
Bin ich direkt, freundlich, sachlich, humorvoll, warmherzig, schüchtern, aggressiv? - Wer ist mein Gegenüber?
Gender? Kulturelle Prägung? Sprachkompetenz (Muttersprache oder Fremdsprache)?Alter?
Kommt Dir das übertrieben vor? Warum? Die meisten dieser Fragen beantwortest Du Dir in jedem Gespräch unbewusst selbst. Etliche davon mit Vorurteilen, denn wir Menschen sind so gestrickt:
in jeder Situation versuchen wir das zu extrapolieren, was wir nicht wissen. Umso wichtiger ist es zu überprüfen ob wir mit unseren Annahmen richtig liegen.
Damit meine ich nicht, dass Du vor Deinem Besuch beim Bäcker eine längere linguistische Betrachtung verfassen sollst, sondern dass Du jetzt, wo Du Dir die Zeit für diesen Artikel genommen hast, ein paar Antworten auf die obigen Fragen suchst. Spiele ein paar Deiner üblichen Gesprächssituationen durch oder reflektiere darüber, wer Deine häufigsten Gesprächspartner sind.
Je klarer uns ist, wie wir mit Sprache umgehen, desto häufiger wird unsere Kommunikation auch GELINGEN.
Ich bin beispielsweise sehr direkt, oft humorvoll, in der Regel freundlich, gehe aber leider noch zu oft davon aus, dass mein Gesprächspartner unwissend sei. Da mir das bewusst ist, kann ich daran arbeiten. Generell ist mir klar, dass ich keine großen Unterschiede mache, was Kontext oder Beziehung angeht. Wenn ich also in eine ungewohnte Situation komme, nehme ich mir einen Moment Zeit und reflektiere darüber, wie ich kommunizieren möchte.
Denn unser Denken formt auf jeden Fall unsere Sprache.
Herzlichst, wo immer Du gerade bist,
P.S.: Zur Zeit lese ich ein hochinteressantes Buch, „Native Tongue“ von Suzette Haden Elgin. Sie war Linguistin, und das Buch ist ein feministisches Gedankenexperiment zum Einfluss von Sprache… teilweise schwer verdaulich, aber voller Denkanstöße.
*https://de.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese
Ja, diese Begriffe gibt es, aber bis auf die Junggesellin beziehen sie sich nur auf das Sexuelle, nicht auf die Selbständigkeit und das durchaus positiv konnotierte Allein sein. Die Junggesellin wiederum ist kein eigenständiger Begriff, sondern leitet sich vom männlichen ab. Die anderen Beispiele objektivieren die gemeinte Person, was der größte Unterschied zum absolut selbständig und handlungsfähig wirkenden Junggesellen ist.
Schade, dass Du da keinen Bedarf siehst, einen neutraleren Begriff zu finden. Nun, wir alle haben unterschiedliche Prioritäten.